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Dewezet-Chefredakteurin und Verlegerin Julia Niemeyer im Interview

Julia Niemeyer ist Verlegerin und Chefredakteurin der Dewezet in Hameln. Sie ist aber auch Diplom-Soziologin, Familienmensch und Kleinstadtliebhaberin. Im Interview erzählt sie: „Jeder Tag ist ideal, wenn ich am Abend schlauer bin, als ich am Morgen war.“ Sie hört gern Rammstein, aber auch deutsche Volkslieder. Am liebsten isst sie Kartoffelsuppe. Ihr Lieblingsgetränk: Whiskey. Wir bitten Julia Niemeyer im Interview zum Seitenwechsel. Ein Gespräch über verschiedene Rollen im Leben, Kneipenbesuche und Glück.

Julia Niemeyer, wie sollte ein gutes Interview beginnen?
Am besten mit einer gut vorbereiteten Frage. Sodass ich als Interviewpartner erkenne: Ah, der hat sich schon mal mit dem Thema beschäftigt. Wichtig ist, dass der Interviewer das Gespräch steuert. Das vermisse ich bei vielen Interviews.

Angenommen, du würdest einen Artikel über dein Leben lesen. Worum muss es gehen?
Jeder Mensch spielt in seinem Leben verschiedene Rollen. Ich bin Soziologin. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich reflektiere. Das Berufliche und das Private sind schon mal zwei Rollensets. Bei mir kommt erschwerend hinzu, dass beides stark miteinander verbunden ist. Viele Menschen trennen die Rollen nicht, wenn sie mir begegnen. Ich kenne das von Kindesbeinen an.

Julia Niemeyer im Interview: “Ich bin ein Familienmensch”

Stört dich das?
Als Jugendliche hat mich das sehr gestört, weil ich beruflich noch nicht in irgendeiner Form aktiv war. Und trotzdem ist mir das immer begegnet. Mein Leben lang sind diese Rollen immer sehr eng miteinander verzahnt gewesen. Für mich selbst natürlich nicht. Das hat sich erst in den letzten Jahren geändert, weil ich im Unternehmen aktiv bin.

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Du bist Verlegerin und Chefredakteurin der Dewezet.
Für mich ist die Dewezet mehr als nur ein Arbeitgeber oder das Familienunternehmen. Die Mitarbeiter sind mir wichtig als Menschen, auch als soziale Kontakte. Aber die Rollen privat und beruflich sind mehr zusammengerutscht. Das wird mit den Jahren auch immer mehr. Und es stört mich nicht mehr.

Julia Niemeyer: “Ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen kennengelernt, den ich langweilig fand”

Welche Rolle spielst du am liebsten?
Ich bin ein Familienmensch. Aber ich war nie das, was man Hausfrau oder Mutter genannt hat. Ich habe drei Kinder, die alle mein Mann großgezogen hat. Ich war immer voll berufstätig. Trotzdem genieße ich das Familienleben total. Nicht nur mit meinen Kindern, auch mit meinen Eltern und Geschwistern. Ich mag es auch, wenn ich zum Beispiel mit Ulrich Behmann unterwegs bin. Wir waren 2016 in Idomeni (Flüchtlingscamp in Griechenland, Anm. d. Red.). Da habe ich mich von einer völlig neuen Seite kennengelernt. Ich habe gemerkt, dass deutlich mehr Reporter in mir steckt, als ich dachte. Und ich genieße die Beobachterrolle. Das ist meine Lieblingsrolle. In der Sozialforschung nennt man das teilnehmende Beobachtung. Also: mitmachen und reflektieren, analysieren. Vielleicht entspricht diese Rolle mir als Person am meisten.

Du gehst gern in Kneipen, die du noch nicht kennst …
Ich bin einfach ein extrem neugieriger Mensch. Ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen kennengelernt, den ich langweilig fand. Für mich ist das natürlich auch ein bisschen Recherche. Mir ist wichtig, mitzubekommen, was die Leute beschäftigt. Wenn man nur zuhört, worüber geredet wird, bekommt man sehr viel Stimmung mit. Journalisten und gerade auch Menschen in Führungspositionen sollten sich bewusst machen, dass die Menschen um einen herum mitunter eine völlig anderen Blick auf die Dinge haben. Und der ist nicht besser oder schlechter als der eigene.

Julia Niemeyer: “Glück ist, was Menschen miteinander erleben”

Was ist Glück für dich?
Glück ist nicht etwas, was in einem Menschen alleine passiert. Glück ist, was Menschen miteinander erleben. Zum Beispiel saß ich in einer Kneipe und habe mich an der Theke mit zwei älteren Männern unterhalten. Es war ein sehr offenes Gespräch. Ich habe mal gesagt: Ich bin gern seelisch nackt. Dieses Gefühl: Ich kann einfach alles sagen. Das finde ich toll. Und wenn die Menschen, die sich mit mir beschäftigen, das auch tun, dann ist das Glück.

Hast du ein Lebensmotto, das dich begleitet?
„Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Ich weiß nicht, von wem das Zitat ist. Aber ich finde es gut. Für mich ist Tradition persönlich, beruflich und auch gesellschaftlich unglaublich wichtig. Natürlich muss man auch ein mitunter kritisches Verhältnis zur Tradition haben. Traditionen sind aus einer Funktion entstanden, die erfüllt werden muss. Und diese Funktion verschwindet nicht. Traditionen haben aber manchmal die unangenehme Angewohnheit, dass sie den eigentlichen Sinn und Zweck komplett überdecken. Und dann muss man gucken, ob noch etwas Sinnvolles enthalten ist. Wie erhalten wir diese Glut? Wie geben wir sie weiter?

Julia Niemeyer: “Ich bin ein Typ Mensch, der nie zufrieden sein kann”

Zurück zum Artikel. Welches Bild würdest du gern sehen?
Die Weser, die reicht eigentlich. Vielleicht ein bisschen was von Hameln. Dieser Fluss ist für mich ein Grund, hier nie wegzugehen.

Hat es dich mal gereizt, in einer anderen Stadt als Hameln zu leben?
Mich hat es sehr gereizt. Im Studium in Bielefeld hat es mir großen Spaß gemacht. Ganz unspektakulär. Aber damals war in Bielefeld die größte soziologische Fakultät in Europa. Der Professor, bei dem ich die Diplomarbeit geschrieben habe, hätte mich gern an der Uni behalten. Und das hätte ich gern gemacht. Das ist das einzige, wo ich manchmal denke: Was wäre geworden, wenn du das gemacht hättest? Ich glaube, ehrlich gesagt, dass es in einem Uni-Betrieb für mich ganz furchtbar geworden wäre. Aber es war schon eine Leidenschaft, mich in diese Themen so vertiefen zu können.

Julia Niemeyer: “Mal ins Auto setzen und losfahren, ohne zu wissen, wohin”

Bist du jetzt mit deinem Leben zufrieden?
Ich bin ein Typ Mensch, der nie zufrieden sein kann. Dafür gibt’s immer noch zu viel, was man nicht weiß. Zu viel, was noch nicht so geklappt hat. Für mich wäre es das Ziel, ganz am Ende des Lebens sagen zu können: Jetzt bin ich zufrieden. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Wo bist du am liebsten im Urlaub?
Ich fahre im Urlaub fast nie weg. Letztes Jahr war ich für drei Tage mit meiner Tochter in Edinburgh. Ich würde mich gern einfach mal ins Auto setzen und losfahren. Ohne zu wissen, wo ich eigentlich hin will. Ich habe festgestellt, dass ich seit 15 Jahren nie länger als einen Tag was gemacht habe, was ich wollte. Kinder schalten sich irgendwann immer in den Tagesablauf ein – und dann musst du funktionieren.

Julia Niemeyer, wie sollte ein gutes Interview enden?
Idealerweise im Kopf des Interviewers.

Fotos: Christian Manthey

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