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Jowita Gartzke: Stufen des Glücks

Jowita Gartzke hat eine alte Villa in Hameln zu einem „Palast“ umgebaut, in dem sie Brautkleider verkauft. Sie liebt alte Uhren, alte Bücher, weil sie Geschichten erzählen – und beweisen, dass das Leben vergänglich ist. Dieses Bewusstsein treibt sie zu neuen Projekten. Sie kann nicht anders.

Stufen des Glücks

Das schwarze Holzgeländer der Treppe knarrt ein wenig, als Jowita Gartzke sich dagegen lehnt. Sie, zurückgeworfene Haare, schwarz-weiß-gestreiftes Oberteil, richtet den Blick auf die hohe Wand neben der Treppe und schaut aus dem Fenster. Die 47-Jährige ist stolz auf das, was sie sich in kurzer Zeit aufgebaut hat; was sie Lebenswerk nennt. Noch vor zwei Jahren war hier Baustelle. Handwerker hinterließen mit matschigen Boots Spuren auf dem roten Teppich inmitten von Spitze, Tüll und Seide. Und ein Kamerateam eilte hin und her.

„Es gab einen Tag, an dem ich schreiend durch die Villa gelaufen bin, geheult habe“, erzählt Jowita heute. Die Renovierung der alten Pflümervilla an der Pyrmonter Straße in Hameln verlangt ihr viel ab, kostet Kraft. Sie spannt Familienmitglieder und Freunde ein. Alle müssen helfen. „Das war richtig hart. Es durfte nicht lange so gehen, das hätte keiner durchgehalten“, meint Jowita, spricht von der größten Herausforderung ihres Lebens. Oft hat sie den Weg bereut, ist ihn trotzdem weitergegangen. Sie sagt: „Wenn du so ein Ding angefangen hast, musst du es zu Ende bringen. Und wenn du kriechst: Du musst es zu Ende bringen.“ Jowita kann ohnehin nicht anders.

Jowita, die Powerfrau

Ihr Mann, ihre Töchter, ihre Freunde kennen sie als Powerfrau, die sich immer wieder neue Projekte vornimmt. Nicht selten ist sie von anderen für ihre Vorhaben belächelt worden. „Viele dachten wohl: Typisch, du hast nie Ruhe, musst immer was Neues starten, ziehst andere mit rein“, sagt sie und schiebt dann hinterher: „Aber ich kann nicht anders. Ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll. Es ist wie eine Krankheit, wie eine Sucht. Ich kann nicht anders, ich muss einfach.“

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Neue Projekte? Es ist wie eine Krankheit, wie eine Sucht.

Jowita Gartzke

Dabei muss sie vor fast zehn Jahren eigentlich gar nicht. Sie will. Sie will ihrer Halbschwester, die plötzlich an Krebs erkrankt ist, etwas Gutes tun. „Es ging immer nur um das Thema Krebs“, sagt Jowita und spricht für einen Moment leise und bedächtig. Sie meint, es würde helfen, sich mit positiven, zukunftsweisenden Themen zu beschäftigen, die auch Ablenkung bringen. „Man muss doch auch was anderes sehen, Hoffnung schöpfen, nach vorne schauen“, sagt sie. Und was eignet sich fürs Nachvorneschauen besser als Brautkleider, die doch untrennbar mit dem schönsten Tag im Leben verbunden sind und eine glückliche Zukunft verheißen? So nimmt ihr neues Projekt Fahrt auf.

Jowita Gartzke startet mit 30 Brautkleidern im Keller

„Mit 30 Kleidern unten bei mir im Keller fing alles an“, erinnert sich Jowita. Sie meldet ein Gewerbe an, das Verkaufen von Brautkleidern wird zur lebensfüllenden Aufgabe. „Ich glaube nicht, dass ich den Schritt ohne diesen Auslöser gewagt hätte“, sagt sie. Gereizt hat sie das Projekt immer. „Aber ich habe immer wieder einen Grund gefunden, das Risiko nicht einzugehen. So dachte ich, dass ich noch etwas Gutes tue.“ Bei ihrer Halbschwester ist inzwischen alles wieder gut. Nach der Chemotherapie hat sie standesamtlich geheiratet. Und wenn bald die kirchliche Hochzeit ansteht, kauft sie ihr Brautkleid bei Jowita – für die aus dem Outlet im Keller in kurzer Zeit ein weißer Palast an der Pyrmonter Straße geworden ist.

„Mein Mann und ich haben uns eine schöne Existenz aufgebaut“, meint Jowita. „Ich bin angekommen.“ Woanders zieht es sie nicht hin. Nicht mehr. Mit ihrer Mutter kommt sie als Fünfjährige vom polnischen Stettin nach Hameln. Ihr Start hier ist hart. „Es war schlimm, meine Heimat zu verlassen. Alles war negativ“, sagt sie. Andere Verwandte sind plötzlich Hunderte Kilometer entfernt. Das schmerzt, denn: Familie ist Jowita wichtig. „Aber als Kind hatte ich keine andere Wahl, als hier zu bleiben.“ In der Schule macht sie schlechte Erfahrungen, wird als Ausländerin, die noch nicht gut Deutsch spricht, anfangs gemobbt. „Die Sprache habe ich relativ schnell gelernt. Ich wusste, dass ich mich nur durch Leistung beweisen kann“, sagt sie.

Jowita Gartzke: Glücklich in Hameln

Später in der Realschule und an der Handelslehranstalt lernt sie Hamelner kennen, mit denen sie noch immer befreundet ist. Sie zieht zum BWL-Studium nach Paderborn, arbeitet danach bei Orsay in der Nähe von Straßburg, später beim BHW und bei Wesertal in Hameln, dann bei Eon in Paderborn. Dort lernt sie ihren jetzigen Mann kennen, zieht zu ihm nach Schwarmstedt, leitet einen Betrieb, fast vier Jahre. Dann ziehen beide nach Hameln. „In Schwarmstedt war eine schwierige Mentalität, alles so ein bisschen eigen“, sagt Jowita. Wenn sie hier viel zu tun hat und nicht einschlafen kann, weil sie kaum zur Ruhe kommt, denkt sie an den Ostseestrand in Polen. „Ich denke an das Meer, wie es rauscht – und bin sofort eingeschlafen. Das ist mein Ruhepol.“

Antiquitäten? Sie beweisen, dass wir immer nur eine Geschichte sind.

Jowita Gartzke

Zur Geschichte von Jowita passt die Villa

Auch als Kind kehrt sie in den Ferien oft zurück in ihre alte Heimat. Immer dann ist ein Besuch im Antiquitätengeschäft Pflicht. „Schon als 13-Jährige habe ich alte Uhren, ein Telefon, alte Bücher gekauft“, erzählt sie. An den Gegenständen fasziniert sie die Historie, die Geschichte dahinter. „Jedes Objekt, das man in der Hand hält, hat etwas zu erzählen: ein Geheimnis. Wir wissen nicht, wer mit der Uhr, mit dem Telefon gelebt hat. Es zeigt doch, woher wir kommen. Es ist doch Geschichte“, sagt sie und meint, dass die alten Uhren und Bücher „eine unglaubliche Ruhe ausstrahlen“, Sicherheit vermitteln. „Diese Historie, diese Ewigkeit“, meint Jowita: „Wir versterben, aber die Möbel und die anderen Gegenstände bleiben. Sie können viele Generationen überleben und beweisen, dass unser Leben vergänglich ist. Dass wir immer nur eine Geschichte sind.“

“Wir haben keine
Zeit zu verlieren.”

Und irgendwie passt es zu Jowitas Geschichte, dass sie sich für ihr wohl größtes Projekt eine alte Villa ausgesucht hat, sich dort regelmäßig für die Vox-Sendung „Zwischen Tüll und Tränen“ filmen lässt. Sie kann nicht anders. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagt sie. Und das schwarze Holzgeländer der Treppe knarrt ein wenig, als sie die nächste Stufe erklimmt.

Fotos: Christian Manthey

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