Zug um Zug
Johannes Schraps hat aufgehört zu zählen. Wie oft er in den vergangenen Monaten am Hamelner Bahnhof war, kann er gar nicht genau sagen. Derzeit sitzt er alle paar Tage im Zug, um zwischen seiner Heimat und Berlin zu pendeln. „Der Bahnhof ist einer meiner am häufigsten besuchten Orte“, sagt der Politiker deswegen an diesem Vormittag – und lehnt sich ans Geländer in der ersten Etage des Gebäudes. Er trägt einen blauen Hoodie mit aufgedruckten Europa-Sternen.
Wenn ich mit einer 100-Stunden-Woche hinkomme, war es eine sehr entspannte Woche.
Johannes Schraps
Im Alter von 34 Jahren ist der Hamelner in den Bundestag gewählt worden, zählt dort zu den jüngsten Abgeordneten. Um politische Inhalte ging es in unserem Gespräch aber nicht. Mit uns hat Johannes über seine Kindheit in Groß Berkel, alte Freunde, 100-Stunden-Wochen – und „House of Cards“ gesprochen.
Johannes Schraps im Interview …
… über seine Kindheit in Groß Berkel:
„Meine Eltern waren politisch sehr aktiv. Mein Papa war eine Weile Ortsbürgermeister in Groß Berkel. Wenn Kommunalwahlen waren, lag immer eine besondere Spannung in der Luft. Ich habe an solchen Tagen gemerkt, dass er besonders aufgeregt war. Meist durfte ich ein bisschen länger aufbleiben. Abends hat mein Vater nochmal ins Kinderzimmer geschaut – und gesagt, ob er gewählt wurde oder nicht. Natürlich habe ich da mitgefiebert. Und ich kann es jetzt sehr gut nachvollziehen, wie es ist, so viel Vertrauen entgegengebracht zu bekommen.“
… übers Leben am Wasser:
„Am Wasser fühle ich mich grundsätzlich wohl. Ich komme aus Groß Berkel und meine Eltern wohnen direkt an der Humme. Wenn ich aus der Schule gekommen bin, habe ich mir die Fußballschuhe angezogen und bin auf den Bolzplatz nebenan – oder aber mit Gummistiefeln in die Humme hinterm Haus. Dort habe ich Schmetterlinge, Libellen oder Vögel beobachtet. Weil ich es einfach spannend fand. Von daher gehört Wasser für mich schon seit klein auf dazu. Das ist auch der Grund, warum ich mich in meinen Studienstädten in Hamburg und Schweden sehr wohl gefühlt habe. Auch heute verbringe ich gerne Zeit an der Weser.“
Der Hamelner übers Studieren in Schweden:
„Während meines Studiums in Bielefeld habe ich Schwedisch- und Polnisch-Kurse belegt. Für meinen Master habe ich dann eine Zeit lang in Schweden gelebt. Das war eine tolle Erfahrung. Gerade die Zeit im Ausland hat mich charakterlich geprägt. Auch in einem schwierigen Umfeld, in dem ich niemanden kannte, habe ich mich zurecht gefunden. Das gibt dir eine Menge Mut – und nimmt dir Angst. Das hat mir auch nach meinem Studium geholfen, als eine Stelle als Mitarbeiter bei einem Abgeordneten im Europäischen Parlament in Brüssel frei wurde. Innerhalb von zwei Wochen bin ich von Schweden nach Hamburg und von dort aus nach Brüssel gezogen.“
Johannes Schraps …
… übers Abschalten:
„Ich habe gelernt, meine Kräfte einzuteilen – und auch mal Pausen einzulegen, um Batterien aufzuladen. Wenn ich mit einer 100-Stunden-Woche hinkomme, war es eine sehr entspannte Woche. Beim Sport kann ich sehr gut abschalten. Das habe ich eine Weile vernachlässigt. Aber ich schaffe es jetzt wieder regelmäßiger, zum Sport zu gehen. Das ist dann eben morgens früh um 6 Uhr, wenn das Fitnessstudio öffnet. Oder ich versuche, bei einem Fußballspiel meiner alten Mannschaft in Groß Berkel dabei zu sein. In Berlin jogge ich morgens manchmal ums Tempelhofer Feld.“
… über seine Beziehung:
„Wir haben uns in Brüssel kennengelernt. Mittlerweile sind wir seit sieben Jahren zusammen. Weil wir immer wieder an unterschiedlichen Orten gelebt haben, erfordert unsere Beziehung viel Koordination und Vertrauen. Auch heute ist das häufige Pendeln zwischen Hameln und Berlin oft eine Herausforderung. Ich bin dankbar für das Verständnis und die Freiheit, mein Mandat so ausüben zu können. In den Sitzungswochen versuchen wir immer einen Abend für uns freizuhalten. Sie kommt aus dem Schwarzwald und hat mir das Wandern und Mountainbiken schmackhaft gemacht. An freien Tagen erkunden wir gemeinsam das Weserbergland zu Fuß oder auf dem Rad.”
Johannes Schraps über alte Freunde, die ihn auf dem Boden halten:
„Die Leute, mit denen ich in Groß Berkel Fußball spiele, sind viele, mit denen ich schon in der Jugendmannschaft zusammengespielt habe. Zum Teil sind dort auch meine besten Freunde mit dabei. Ich bin wirklich dankbar, dass ich meine Jungs habe. Mit dieser Runde habe ich seit meiner Kindheit Kontakt. Ich weiß, dass ich mich zu hundert Prozent auf sie verlassen kann. Viele von ihnen waren auch unterwegs, in Deutschland oder im Ausland. Größtenteils sind sie wiedergekommen und wieder hier in der Region zu Hause. Es ist ein gutes Gefühl, sie um mich herum zu haben. Weil es ein Umfeld ist, das mich auf dem Boden hält.“
… über politische Serien wie „House of Cards“:
„Das Leben als Abgeordneter lässt nicht wirklich viel Zeit fürs Seriengucken. Ich habe in die erste und zweite Staffel von ‚House of Cards‘ aber reingeschaut. Es ist natürlich ziemlich überspitzt. Das macht den Reiz der Serie aus, dass sie viele Klischees bedient. Klar, es kommt oft auch darauf an, wie man vernetzt ist, welche Hebel man in Bewegung setzt, um auch für die eigene Region was zustande zu bringen. Aber natürlich ist es nicht so, wie es in der Serie dargestellt wird.“
Text: Moritz Muschik
Fotos: Tanja Dutton
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