Fast jeder in meinem Freundeskreis hat seine eigene Geschichte in Bezug auf das Kinderkriegen. Ob es von vorneherein schwierig war, es überhaupt zu schaffen, es vielleicht gar nicht geklappt hat oder eine Schwangerschaft unglücklich endete. Es gibt allein in unserer schönen Stadt so viele Menschen, denen es sicher ähnlich geht. Sie passieren euch in der Fußgängerzone und blicken kurz neidisch auf euren Kinderwagen, sie ziehen sich komplett zurück oder sie lernen damit umzugehen, so wie wir.
Mich bringt immer der Satz „Wie viele Kinder hast du eigentlich?“ kurz ins Stocken. Ja, wie viele Kinder habe ich eigentlich? – Zwei, aber in Herzen sind es drei. Nur möchte ich das sagen und jedem gleich unsere ganze Geschichte dazu erzählen, warum hier nur zwei Kinder herumtollen? Andererseits bekomme ich immer einen Kloß im Hals, wenn ich „zwei“ sage, denn eine von den dreien darf doch auch nicht einfach in Vergessenheit geraten. Sie hieß Ida und ist, wie man sagt, „still geboren“ worden. Still, weil es ziemlich still ist, wenn bei einer Geburt kein Schrei zu hören ist. Ida wäre am 1. Juni 2022 neun Jahre alt geworden. Sie ist ein sogenanntes Sternenkind.
Ich möchte euch heute unsere Geschichte darüber erzählen, um vielleicht einigen von euch Mut zu machen, dass wieder bessere Zeiten kommen werden. Und auch, um euch zu zeigen, dass man in Hameln ganz wunderbare Hilfe finden kann, wenn man in dieser Situation ist:
„Ich sehe keinen Herzschlag mehr.“ – Es ist der 6. Schwangerschaftsmonat mit Ida, zudem einen Tag vor dem 3. Geburtstag unserer Tochter Mia und mit einem Satz gerät unsere Welt aus den Fugen. Wir entscheiden uns bewusst Mias Geburtstag wie geplant zu feiern. Für einen Moment holen wir uns die Normalität zurück, essen Kuchen mit Familie und Freunden und spielen Topfschlagen. Denn am nächsten Tag wird alles anders sein. Ida wird dann nicht mehr bei uns sein.
Ich weinte minutenlang ins Telefon, bevor ich in der Lage war, das erste Wort zu ihr zu sagen, aber ich wusste, dass dort jemand ist, der weiß, wie sich das anfühlt.
Nach 10 Stunden Wehen kommt Ida am Morgen des 1. Juni 2013 im Hamelner Krankenhaus auf die Welt. Es ist still, furchtbar still. Sie liegt in unseren Armen, wir streicheln ihr über den Kopf und verabschieden uns von ihr. Viel zu kurz. Dann ist sie weg und hinterlässt einen leeren Platz in unserer Familie und einen tiefen Schmerz, von dem ich glaube, dass er nie enden wird.
Es gibt Momente im Leben, da fühlt man sich, als würde man jeden Moment aus einem schlimmen Traum erwachen, aber man tut es einfach nicht. Und dann gibt es nicht viele Leute, die verstehen, in welcher Ohnmacht man sich befindet. In dieser Phase lernte ich Marlen vom Sternenkinder / Hospiz-Verein Hameln e.V. kennen. Ich weinte minutenlang ins Telefon, bevor ich in der Lage war, das erste Wort zu ihr zu sagen, aber ich wusste, dass dort jemand ist, der weiß, wie sich das anfühlt.
Kinder haben ihre eigene Weise mit dem Tod umzugehen und das kann auch den Erwachsenen eine große Hilfe sein.
Ida wurde mit anderen Sternenkindern auf dem Friedhof Wehl beigesetzt. Marlen saß bei uns und Mia sang leise mit, als die Orgel in der Kapelle „Weißt du wieviel Sternlein stehen“ spielte. Das Sternenkindergrab ist für uns ein wichtiger Anlaufpunkt und gibt uns das gute Gefühl, dass Idas so kurze Zeit auf dieser Welt ein würdiges Ende gefunden hat.
Mit Mia haben wir immer offen über ihre kleine Schwester, die leider nicht leben durfte, gesprochen. Sie war drei und zeigte auf den Himmel, an dem gerade die Sonne aufging: „Mama, guck mal, Ida hat den Himmel rot angemalt!“. Kinder haben ihre eigene Weise mit dem Tod umzugehen und das kann auch den Erwachsenen eine große Hilfe sein.
Wenn ihr meint, ihr habt niemanden, mit dem ihr reden möchtet, dann gibt es Stellen, an die ihr euch wenden könnt, wie den Hamelner Hospizverein.
Wir hatten ein Kind, dass wir nicht kennenlernen durften und das für immer ein großes Loch in unserem Herzen hinterlassen hat, aber dafür haben wir fast zwei Jahre nach Idas Geburt, ein Kind bekommen, das wir ansonsten nicht kennengelernt hätten: unseren Mads. Ein Bekannter sagte kurz nach Idas Geburt zu mir: Wunden heilen, Narben bleiben. Und genau so fühlt es sich heute, neun Jahre später an. Ida gehört zu unserem Leben, für Mia war das immer normal und selbst Mads kennt ihre Geschichte.
Mein Rat an euch: Sprecht darüber! Wir haben immer offen mit unserer Familie und unseren Freunden darüber gesprochen. Auch, wenn es uns Jahre später um ihren Geburtstag herum noch einmal schlecht ging, konnten wir das sagen und es war sofort jemand da, um zuzuhören oder abzulenken. Wenn ihr meint, ihr habt niemanden, mit dem ihr reden möchtet, dann gibt es Stellen, an die ihr euch wenden könnt, wie den Hamelner Hospizverein. Ihr seid auf jeden Fall nicht allein!
Foto: Dewezet