Wenn Miriam Priebe über ihren Vater spricht, redet sie ruhig, reflektiert. Ein ambivalentes Verhältnis habe sie zu ihm gehabt, sagt sie an diesem nasskalten Nachmittag vor ihrem Laptop – und atmet einmal durch. Am Rand ihres Bildschirms sind die dunkelgrünen Blätter einer Fensterblattpflanze zu sehen. Wir haben uns per Videokonferenz zusammengeschaltet. Es ist kurz vor Weihnachten, Lockdown, Corona-Krise. Und Miriam Priebe erzählt.
Von ihrer Leidenschaft, der Kunst am Babybauch, von ihren acht Geschwistern, ihrem Mann, den sie seit über 17 Jahren kennt, ihren Kindern – und dem Jahr, das sie nie vergessen wird. Weil es sie in weiten Teilen zu dem Menschen werden ließ, der sie heute ist. 2020 jährt sich dieser „Schlüsselmoment“, wie Miriam Priebe ihn heute nennt, zum zehnten Mal.
Ihr Vater wollte immer, dass Miriam Priebe Künstlerin wird
Mein Vater hat immer gesagt: Du musst Künstlerin werden. Er wollte selbst immer kreativ arbeiten, hatte aber nie die Möglichkeit dazu. Er ist als englischer Soldat nach Deutschland gekommen, hatte es schwer, hier Fuß zu fassen. Ich glaube, er hat viel Potenzial auf mich projiziert.
Miriam Priebe
Doch für Miriam Priebe ist genau aus diesem Grund die künstlerische Karriere kein Thema. „Weil er es so sehr wollte, dass ich kreativ arbeite und damit Geld verdiene, wollte ich es nicht. Das war mein Protest“, erzählt sie heute. Erst, als ihr Vater 2010 im Sterben liegt, arbeitet sie im Hospiz viele Themen mit ihm auf. „Ich habe erst dann verstanden, warum er so gehandelt hat – und konnte Frieden schließen.“
Floristin, Fotografin, Künstlerin
Inzwischen lebt Miriam Priebe genau das Leben, das sich ihr Vater wohl immer gewünscht hatte. Die gelernte Floristin ist tätig als Fotografin und Künstlerin, gibt Kurse und veranstaltet Workshops. Eine konkrete Berufsbezeichnung kann es für die vielen kunstvollen Tätigkeiten und Projekte, die Miriam verfolgt, nicht geben. Auf ihrer Website umschreibt die 36-Jährige ihren Job daher recht offen mit „Rund um Kunst“.
Rund. Diese Form steht in vielerlei Hinsicht für ihr Leben. Für die Blumenringe, die sie so gern gestaltet, für die Gestecke, die sie zwischenzeitlich auf dem Hamelner Wochenmarkt verkauft hat – und besonders für die Kunst am Babybauch. „Der Bauch einer Schwangeren ist die schönste Malunterlage der Welt“, sagt die Mutter von drei Kindern. Sie möchte die Schwangerschaft in künstlerischer Weise festhalten und die individuelle Geschichte der werdenden Mutter über die Bemalung und das anschließende Fotoshooting erzählen.
Kunst am Babybauch mit Miriam Priebe
Auch Gipsabdrücke vom Schwangerenbauch bietet sie an. Einen schöneren Job könnte sich Miriam nicht vorstellen. „Ich darf spüren, wie sich das Baby bewegt, darf meistens auch den Namen erfahren, bevor es jemand anderes weiß. Ich erfahre, welche Sorgen und Ängste die Frauen haben, bin ganz nah dran. Meist entwickeln sich dadurch auch Freundschaften.“
Wenn ihre Kundinnen heute von den Erfahrungen während der Schwangerschaft erzählen, denkt Miriam oft zurück an ihre erste Schwangerschaft. „Das ist für mich immer rückgekoppelt an das Jahr 2010“, sagt sie. Damals entwickelt sich die Idee für die Kunst am Babybauch. Eine kreative Ader hatte sie dabei schon immer.
„Als Kind habe ich einen Malwettbewerb gewonnen, habe mit dem Bürgermeister Mittag gegessen, das war ein super Moment, in dem ich gemerkt habe: Hey, du hast mit dem Malen Erfolg. Aber ich habe immer gedacht: Andere malen viel besser. Und der Druck von meinem Vater hat es nicht besser gemacht.“
Miriam Priebe: „Hochglanzmöbel und Vitrinen waren mir zu tot“
So lernt sie den Beruf der Floristin, arbeitet später in einem Möbelhaus, ist eine Zeit lang auch selbstständig tätig als Innenausstatterin für Friseure. „Ich bin mit meinem Mäppchen zum Friseur gefahren und habe angeboten, den Salon einzurichten. Aber Hochglanzmöbel und Vitrinen waren mir mit Blick auf das Material zu tot – mir war schnell klar, dass ich keine Möbel verkaufen konnte“, erzählt sie heute.
Wie sie sich selbst beschreiben würde? „Ich kann gut improvisieren, bin vielleicht auch etwas chaotisch.“ Sie könne aus wenig viel machen, sehe häufig Potenzial in Dingen. „Wenn ich zum Beispiel einen Stock sehe, denke ich schon darüber nach, wofür ich ihn in einer Kreation verwenden könnte“, erzählt sie. Und: Miriam Priebe lacht gerne. Sie ist ein lebensfroher, positiver Mensch. Zusammen mit ihrem Mann Philip Priebe und den drei Kindern läuft sie täglich eine große Runde – auch an nasskalten Nachmittagen wie diesem.
„Bald ist auch ein Hund dabei“, sagt Miriam Priebe noch und lächelt in die Frontkamera ihres Laptops, bevor sie sich verabschiedet. Was ihr Vater wohl sagen würde, wenn er wüsste, wie seine Tochter heute lebt?
Fotos: Nina Reckemeyer